Die Straße überqueren

Im Grunde kann ich es mir nicht länger erlauben aus dem „vollen Gang“ heraus, was bei mir eher „volles Hinken“ heißen müsst, einfach eine Straße zu überqueren. Auch wenn ich jetzt in der tiefsten Provinz lebe, die Straßen nicht sonderlich belebt sind und das Ohr den Verkehr gut mithören kann. Es ist kaum möglich während des  Gehens, den sturen „Sicherheitsblick“ vom Bürgersteigpflaster einfach mal aufzugeben und ihn zum Beispiel zur linken Straßenseite zu wechseln. Denn das hieße, den Kopf heben, ihn nach links wenden und dabei die Beine gleichmäßig im Gangzyklus zu belassen. Und das alles gleichzeitig!

Ist einfach zu viel. Geht nur nacheinander.

Die Spurbreite der Füße wird zu groß oder zu klein, Standphasen und Schwungphasen der Beine verhaspeln sich. Im Kopf fängt alles an zu drehen. Tolle Belohnung dafür, es korrekt zu versuchen.

Natürlich versuche ich diesen banalen Vorgang des Straße-Überquerens in seiner wenigstens abgekürzten Form beizubehalten, um nicht immer stehen bleiben zu müssen. Also behelfe ich mir (oder doch Akkusativ? „Also behelfe ich mich…“) mit zwei Finten, mit dem Lauschen und einem hastigen Augenwinkel-Blick.

Klappte ganz gut. Bis letzte Woche.

Da hätte es mich fast erwischt. Ein Klassiker. Abend-Schummerlicht. Kurz vorm Laterne-Anknipsen. Die Autos schon mit Licht. Eines nicht. Nich‘ gehört. Nich‘ gesehen. Trotz gehetztem Augenwinkel-Blick. Das Auto wich mir mit einem riesigen Schlenker geräuschlos aus. Unbeeindruckt. Wenigstens Hupen hätte es können! So war der übliche Anlass einem Auto hinterher zu fluchen futsch. Und ich stattdessen ganz allein mit meinem Versagen auf der schummrigen Straße. Selber schuld, hätt’s geknallt. Und geknirscht.

Ich muss also zur Kenntnis nehmen: Zwei aktive körperliche Vorgänge gleichzeitig, Laufen und Schauen, das kannst du (noch) vergessen.

Also beame ich mich jetzt gewissenhaft in die Zeit zurück, da ich als gründlich-eifriger (Trennungs-)Vater meinen beiden Söhnen und meiner Tochter das fußwerklich korrekte Überqueren einer Fahrbahn beibrachte. An die Bordsteinkante des Bürgersteigs herantreten. Stopp! Blick nach links. Blick nach rechts. Alles frei oder die Autos in angemessener Entfernung? Wenn nicht – warten. Wenn ja – rüber. Eh! Gerade und nicht schräg! Und nicht bummeln!

Jetzt übe ich, sozusagen als Vorbereitung (Trockenübung) auf die Gleichzeitigkeit Laufen und Schauen beim Straße-Überqueren, diese lästige Angelegenheit in zerlegter Form: Beim Geradeaus-Hinken mal den Kopf hochheben. Von dieser Laterne bis zu dieser. Und! Dabei mal den Kopf wenden. Nach links, nach rechts. Oder nach oben, meistens zur Kirchturmuhr (mein Übungsrevier ist beschränkt).

Mal sehen, ob und wann ich notieren kann: Gleichzeitigkeit von Sicherheitsblicken und Straßeüberqueren funktioniert!

Schreibe einen Kommentar