Gewichtsverlagerung: Das „ehrliche“ Gehen

Ein zeitlich befristeter Therapeuten-Wechsel, der sich mir zufällig bot, lässt mich das „ehrliche Gehen“ entdecken.

Die Entdeckung ist sehr schlicht, mir eigentlich schon lange bekannt und von meinen Therapeuten immer wieder hoch- und runtergebetet worden, zugleich aber (mit einem halbseitig gelähmten Körper) superschwer umzusetzen. Der Gangzyklus muss in seinen acht Phasen so extrem verlangsamt ausgeführt werden, dass eine wirkliche, physiologisch saubere Übergabe und Übernahme des kompletten Körpergewichts zwischen Referenzbein und kontralateralem Bein passiert. Diese Langsamkeit muss so lange beibehalten und mit dem Gehstock abgesichert werden, bis das gelähmte Bein wieder genug Kraft entwickelt hat, das vollständige Gewicht des Körpers vom gesunden Bein aufzunehmen, zu halten, dynamisch vorwärts zu bewegen und wieder auf das gesunde Bein abzugeben. Dies nenne ich das „ehrliche Gehen“.

Was aber ist das „unehrliche Gehen“? Es ist ein Gehen, das sich bei mir als Kompensation einschlich und über vier Jahre in meinen Körper neuronal „einschrieb“. Ein Gehen, das ich mir angewöhnte, seit meiner ersten „Auferstehung“ aus dem Rollstuhl, dem statischen Stehen und meinen ersten Schritten: Das Gehen mit verriegeltem Knie. Das betroffene Bein dient hier gewissermaßen als Skelett-Gehstock, dessen wichtigste Muskeln, die für das Gehen wichtig sind, mit der Zeit verkümmern. Vor allem die drei Gluteus-Muskeln und die Quadrizeps.

Das Entriegeln des Knies beim Gehen ist eine mühselige Prozedur. Vom Moment des gefühlten Verstehens bis zum halbwegs abgesicherten irrsinnig verlangsamten, „entriegeltem“ Gehen sind jetzt vier Wochen vergangen. Eine Strecke von ca. 400 Metern, die ich früher in zehn Minuten ohne Gehstock bewältigte, dauerte plötzlich 40 Minuten mit Gehstock, einschließlich einer enormen Erschöpfung, die schon nach 20 Minuten eintrat, weil jede Gangphase, zeitlupenhaft und hochkonzentriert ausgeübt werden musste. Jetzt, da ich dies schreibe, benötige ich noch 30 Minuten für dieselbe Strecke. Die Erschöpfung danach ist immer noch sehr stark. Schauen wir mal.

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